Der Mobilitätswandel

Der Mobilitätswandel

Wäh­rend Nor­we­gen auf dem bes­ten Weg ist, ein Land ohne Ver­bren­nungs­mo­to­ren zu wer­den, schwa­dro­nie­ren in Deutsch­land vor allem die besorg­ten Bür­ger und ande­re Auto­fah­rer dar­über, dass die E‑Mobilität ja nur ne Spin­ne­rei der Grü­nen bzw. von Gre­ta wäre, und dass mit der E‑Mobilität ja nur die deut­sche Wirt­schaft zer­stört wer­den soll und so wei­ter und so fort. In die glei­che Ker­be schlägt die AfD, die ja den Die­sel als Zukunfts­tech­no­lo­gie preist. Dass VW sei­ne letz­te Ver­bren­ner­platt­form 2025 auf den Markt brin­gen will, und damit den Ver­bren­ner indi­rekt für 2040 abge­kün­digt hat, inter­es­siert die besorg­ten und unbe­sorg­ten Auto­fah­rer natür­lich auch nicht.

Damit die besorg­ten Bür­ger nicht als tota­le Zukunfts­ver­wei­ge­rer daste­hen, ver­le­gen sie sich jetzt dar­auf, dass die Brenn­stoff­zel­le ja die gro­ße Zukunft wäre, und E‑Autos eine fal­sche Ent­schei­dung wären.
Dabei über­se­hen sie geflis­sent­lich, dass eine Brenn­stoff­zel­le aus einer Reak­ti­on von Was­ser­stoff und Sauer­stoff elek­tri­sche Ener­gie “erzeugt”, die dann die Elek­tro­mo­to­ren antreibt. Womit man wie­der beim E‑Auto wäre. 😀
Wei­ter­hin über­se­hen sie, dass wei­ter­hin Akkus in den E‑Autos benö­tigt wer­den. Einer­seits zur Spei­che­rung der beim Brem­sen gewon­ne­nen Ener­gie, ande­rer­seits zum gene­rel­len Puf­fern der Ener­gie. Die Brenn­stoff­zel­le hat zwar eine gute Dau­er­leis­tung, für kurz­zei­ti­ge hohe Leis­tung, wie sie zum Bei­spiel beim Beschleu­ni­gen benö­tigt wird, reicht eine Brenn­stoff­zel­le nicht aus. Des­halb wur­de beim iLint von Als­tom genau die­ses kom­bi­nier­te Kon­zept realisiert.
Und zu guter Letzt kommt noch hin­zu, dass Was­ser­stoff nicht natür­lich vor­kommt. Er “ent­steht” als Abfall­pro­dukt in der che­mi­schen Indus­trie oder muss ener­gie-inten­siv erzeugt wer­den. Also nimmt man elek­tri­sche Ener­gie, trennt aus eine che­mi­schen Ver­bin­dung den Was­ser­stoff (natür­lich unter enor­men Ener­gie­ver­lus­ten), trans­por­tiert den Was­ser­stoff (unter Ener­gie­ver­lus­ten) zu nem Auto, wo er wie­der unter Ener­gie­ver­lus­ten in elek­tri­sche Ener­gie “gewan­delt” wird, um damit nen E‑Motor anzu­trei­ben. Klingt effi­zi­ent, nicht wahr. Den Strom gleich in den E‑Motor zu bal­lern, wäre ja viel zu einfach. 😀

Wäh­rend sich also die deut­schen Auto­fah­rer einer wun­der­ba­ren Phan­tom­dis­kus­si­on über E‑Autos hin­ge­ben, ver­pen­nen sie sie die nächs­te und deut­lich tie­fer grei­fen­de Stu­fe des Mobi­li­täts­wan­dels — das auto­no­me Fahren.

Auch hier wis­sen die deut­schen Auto­fah­rer näm­lich ganz genau, dass das ent­we­der nie zu rea­li­sie­ren ist, bzw. wenn es doch klappt, sich nie in Deutsch­land eta­blie­ren wird.

War­um es aller­dings doch kom­men wird und vor allem rea­li­siert wer­den muss, will ich fol­gen­dem aufzeigen:

Der Anteil der jun­gen Füh­rer­schein­be­sit­zer ist im Sin­ken begrif­fen. Waren es 2010 noch knapp 86%, so dürf­te die­ser Anteil letz­tes Jahr auf unter 80% gefal­len sein.  Wäh­rend der Anteil auf dem Land immer noch recht hoch ist, sinkt er in Metro­po­len wie Ber­lin inzwi­schen auf ca. 50%.
Grün­de dafür lie­fert auf ver­schie­de­nen Ebe­nen das Smartphone.

  • Jugend­li­chen ist ein Smart­pho­ne viel wich­ti­ger als ein Auto, gera­de wenn es um Sta­tus­sym­bo­le geht. Nicht dass der Punkt Sta­tus­sym­bol ein nach­hal­ti­ges Argu­ment ist, aber es ist nun­mal so.
  • Das Smart­pho­ne hat die Kom­mu­ni­ka­ti­on kom­plett ver­än­dert. Muss­te man sich frü­her tref­fen, um in einer Grup­pe etwas zu bespre­chen, nimmt man heu­te den Mes­sen­ger sei­ner Wahl und macht ne Chat­grup­pe auf.
  • Jeder Anbie­ter von Mobi­li­täts­dienst­leis­tun­gen hat eine App im Ange­bot, so dass es für den Men­schen am Smart­pho­ne ein leich­tes ist, sich dar­über zu infor­mie­ren, wie er von A nach B kommt und dies ent­spre­chend buchen kann.

Wei­ter­hin haben sich in den letz­ten Jah­ren neue Mobi­li­täts­an­ge­bo­te etabliert.

  • Seit 2013 ist der Fern­bus­markt in Deutsch­land nicht mehr auf weni­ge Stre­cken beschränkt. Mit den Fern­bus­sen kommt man inzwi­schen für einen schma­len €uro quer durch Deutschland.
  • Seit 2017 schickt Flix­Mo­bi­li­ty mit dem Flix­Train zum ers­ten Mal ein ernst­zu­neh­men­des pri­va­tes Ange­bot im Fern­ver­kehr auf die Schiene.
  • Bei­de Punk­te führ­ten dazu, dass die DB AG unter Druck geriet und gera­de im Fern­ver­kehr mas­siv Spar­prei­se auf den Markt wirft.
  • Die klas­si­sche Mit­fahr­zen­tra­le erhielt durch das Smart­pho­ne einen mas­si­ven Zulauf, da es das Suchen und Anbie­ten von Fahr­ten und die Kom­mu­ni­ka­ti­on deut­lich vereinfachte.

Somit hat der (jun­ge) Mensch, der in einer Stadt wohnt, ohne Füh­rer­schein und/oder eige­nen PKW heut­zu­ta­ge deut­lich mehr Ange­bo­te von A nach B zu kom­men als vor 20 Jah­ren. Und die­se Ange­bo­te sind leich­ter zu nutzen.

Das auto­no­me Fah­ren wird sich hier in eini­gen Jah­ren naht­los ein­fü­gen und genau­so von den Men­schen genutzt wer­den, wie sie heu­te Mit­fahr­zen­tra­len etc. nutzen.

Der wesent­li­che Punkt, der das auto­no­me Fah­ren for­dern wird, ist das Wachs­tum der Städ­te.  Leb­te in Deutsch­land nach dem Krieg noch jeder drit­te auf dem Land, so geht die Ten­denz inzwi­schen dahin, dass nur noch jeder fünf­te auf dem Land wohnt.
Ber­lin leg­te zwi­schen 2011 und 2017 ein Wachs­tum von über 8% hin, Leip­zig leg­te seit 2011 um 15% zu und Pots­dam war mit über 13% dabei.  Hin­zu kommt noch das Wachs­tum der ent­spre­chen­den Speckgürtel.
Die­ser Trend ist übri­gens nicht spe­zi­fisch für Deutsch­land, son­dern ist welt­weit zu beob­ach­ten.
Wäh­rend die Ein­woh­ner­zah­len wach­sen, kann aber der Ver­kehrs­raum nicht pro­por­tio­nal mit­wach­sen, was zu einem Verkehrschaos/kollaps füh­ren muss, wenn sich nichts grund­le­gen­des ändert.
Das größ­te Opti­mie­rungs­po­ten­ti­al bie­tet hier der PKW. Die­ser steht 95% des Tages sinn­los rum, und wenn er mal gefah­ren wird, sit­zen nur 1,5 Men­schen im Auto. Somit erge­ben sich zwei Ansätze:

  1. Reduk­ti­on der Stand­zeit. Der frei wer­den­de Platz kann genutzt wer­den, um Fuß­gän­gern und Rad­fah­rern mehr Raum zu geben und somit den Modal Split zu ändern.
  2. Erhö­hung der PKW Aus­las­tung, so dass weni­ger PKW genau­so vie­le Men­schen beför­dern. Das wür­de das Ver­kehrs­auf­kom­men redu­zie­ren und somit Staus und War­te­zei­ten redu­zie­ren, was zu kür­ze­ren Fahr­zei­ten führt.

Ange­bo­te, die die­se Zie­le ver­fol­gen, gibt es schon.

  • Car-Sharing: Hier­bei tei­len sich belie­big vie­le Men­schen ein Fahr­zeug, so dass hier in ers­ter Linie die Anzahl der Autos redu­ziert wird, was zur Fol­ge eine deut­lich gerin­ger Stand­zeit des ver­blei­ben­den Autos hat. Das Wachs­tum der Nut­zer­zah­len hier in Deutsch­land spricht für sich.
  • Ride-Sharing: Hier­bei bie­ten kom­mer­zi­el­le Anbie­ter die Mög­lich­kei­ten, belie­bi­ge Fahr­ten zu buchen. Der Anbie­ter ver­sucht sei­ner­seits, meh­re­re Kun­den­bu­chun­gen zu einer Fahrt zusam­men­zu­fas­sen, so dass die Aus­las­tung pro PKW deut­lich über den oben genann­ten 1,5 liegt. ioki schafft es in Ham­burg inzwi­schen auf 1,74 Men­schen pro Auto.
    Län­ger­fris­ti­ge Sta­tis­ti­ken zum Ride-Sharing gibt es noch nicht, da die Diens­te alle recht neu sind.

Bei­de Ange­bo­te wer­den in Deutsch­land mas­siv von der DB AG, den gro­ßen Auto­her­stel­lern und gro­ßen Nah­ver­kehrs­be­trie­ben wie der BVG und dem VHH vor­an­ge­trie­ben. Das Ziel ist ganz klar in Städ­ten neue und ver­netz­te Mobi­li­täts­an­ge­bo­te zu eta­blie­ren, so dass die Mobi­li­tät der Men­schen min­des­tens gleich bleibt, aber die Belas­tung für die Städ­te deut­lich sinkt. Im Gegen­zug wer­den die­se Ange­bo­te durch die Städ­te sup­por­ted, sei es durch Son­der­ge­neh­mi­gun­gen für Test­pha­sen oder kos­ten­lo­ses Par­ken für Car-Sharing Nut­zer wie in Braunschweig.
So gibt es inzwi­schen in Ham­burg im Stra­ßen­netz einen Test­be­reich für das auto­no­me Fah­ren.

Wird in der Zukunft das auto­no­me Fah­ren tech­nisch rea­li­siert und recht­lich zuge­las­sen, wer­den die Ange­bo­te von Car- und Ride-Sharing wahr­schein­lich in einem kom­bi­nier­tem Ange­bot aufgehen.
Womit dann die Moti­va­ti­on für einen Füh­rer­schein in deut­schen Groß­städ­ten gegen Null sin­ken wird.

Span­nend wer­den nur zwei Fragen.

  1. Wie wird sich in dem ers­ten Jahr­zehnt des auto­no­me Fah­rens das Nut­zungs­mo­dell ent­wi­ckeln? Am Anfang wird das Shared-Modell sehr stark über­wie­gen, wäh­rend die Anzahl der klas­sisch indi­vi­du­ell genutz­ten, auto­no­men Fahr­zeu­ge recht gering sein wird. Was danach pas­sie­ren wird — kei­ne Ahnung. 😀
  2. Wie gut wer­den die Shared-Model­le mit den Öffis ver­knüpft? Dies wird sehr stark von den jewei­li­gen Städ­ten abhän­gen. Wol­len sie vie­le Stra­ßen pfle­gen oder wol­len sie ein neu­es Kapi­tel der Stadt­ent­wick­lung aufschlagen?

Soll­te sich das Shared-Modell mit guter Ver­knüp­fung mit den Öffis durch­set­zen, wird es ein mitt­le­res Erd­be­ben in der Auto­mo­bil­in­dus­trie und diver­sen ande­ren Berei­chen geben, woge­gen die jetzt befürch­te­ten Ver­än­de­run­gen eher der Sturm im Was­ser­glas sind.

Schaut man auf die jet­zi­ge Rum­steh­zeit und mise­ra­ble Aus­las­tung der PKW, ist es nicht all­zu opti­mis­tisch zu sagen, dass man dann mit maxi­mal 20% der PKWs im Ver­gleich zu heu­te aus­kom­men wird. Was das für die Pro­duk­ti­on und die Zulie­fe­rer bedeu­ten wür­de, soll­te klar sein.
Da es dann weni­ge Flot­ten­be­trei­ber geben wird und kaum noch Pri­vat­kun­den, wäre die Exis­tenz von Auto­häu­sern stand heu­te auch schon terminiert.
Dem gan­zen wür­den zeit­ver­setzt Werk­stät­ten, Zube­hör­in­dus­trie, Fahr­schu­len etc. folgen.

Für die Städ­te ergä­ben sich rie­si­ge Chancen.

  • So ziem­lich alle inner­städ­ti­schen Park­plät­ze kön­nen zu Park­an­la­gen umge­stal­tet oder für sozia­le Wohn­be­bau­ung genutzt werden.
  • Park­häu­ser kön­nen zu Wohn- und Geschäfts­räu­men (falls man die dann noch braucht) umge­stal­tet werden.
  • Sämt­li­che mehr­spu­ri­gen Stra­ße kön­nen hal­biert wer­den, der frei wer­den­de Raum kann auch wie­der für Grün­an­la­gen und/oder sozia­le Wohn­be­bau­ung genutzt werden.
  • Park­strei­fen an Stra­ßen kön­nen zu Rad/Fußwegen umge­stal­tet werden.
  • Die Belas­tung der Ein­woh­ner durch Lärm und Luft­ver­schmut­zung kann mas­siv redu­ziert werden.

Jeden­falls hat die Gesell­schaft in den nächs­ten zwan­zig Jah­ren eine rie­sen Chan­ce, ihre Mobi­lio­tät nach­hal­tig zu erhö­hen und gleich­zei­tig ihr Wohn­um­feld deut­lich freund­li­cher und ange­neh­mer zu gestalten.
Ich freue mich schon auf das Mit­er­le­ben der Dis­kus­sio­nen in ca. zehn Jahren.
Die Jugend und die pro­gres­si­ven jeg­li­chen Alters: Hey cool, ist neu, muss ich ausprobieren!
Der klas­si­sche Auto­fah­rer: Das ist Ent­mün­di­gung, mei­ne Frei­heit als Bür­ger wird mir genommen…

Und zum Glück ver­gisst das Inter­net nicht, dann kön­nen wir in Zukunft nach­voll­zie­hen, wie nah oder fern ich mit dem Text an der Ent­wick­lung liege.

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