Die Stadt Braunschweig und der Landkreis Eichsfeld – ein Vergleich zu Corona-Zeiten
Kurz zu meiner Vita:
Ich wurde 1979 im heutigen Landkreis Eichsfeld geboren und machte dort 1998 mein Abitur. Nachdem es mich ein bisschen durch Deutschland getrieben hat, landete ich 2005 in meiner neuen Wahlheimat Braunschweig. Seit März 2020 weile ich wieder im Landkreis Eichsfeld, weil ich dachte, so auf dem Land ist die Zeit der Pandemie einfacher zu verbringen als in der Großstadt, was sich aber irgendwie als nicht ganz so richtig herausstellte.
Braunschweig hat ca. 250.000 Einwohner*innen (1.300 Einwohner*innen pro km²) und hat von dörflich geprägten Strukturen bis hin zu typischen Großstadt-Wohnsilos alles zu bieten. Die Wirtschaft reicht vom kleinen Familienbetrieb bis zu Produktionsstätten mit mehreren 1.000 Mitarbeiter*innen.
Der Landkreis Eichsfeld hat ca. 100.000 Einwohner*innen (106 Einwohner*innen pro km²), ist überwiegend dörflich geprägt und hat drei Kleinstädte, wobei Leinefelde-Worbis mit ca. 20.000 Einwohner*innen die größte dieser Städte ist. Wirtschaftlich ist das Eichsfeld durch kleine und mittelständische Betriebe geprägt.
Am 10.10.2020 waren laut RKI im LK Eichsfeld 185 und in Braunschweig 543 Coronainfektionen zu vermelden. Bezogen auf 100.000 Einwohner hatte Braunschweig mit 217 Infektionen ein paar Infektionen mehr als der LK Eichsfeld zu verzeichnen.
Zum 4.4.2021 sind im LK Eichsfeld 5.100 Infektionen und in Braunschweig 4.842 zu vermelden. Bezogen auf 100.000 Einwohner heißt das 5.100 Infektionen im LK Eichsfeld und 1.937 in Braunschweig.
Obwohl beide Regionen Anfang Oktober quasi gleichauf lagen, sieht es nach sechs Monaten drastisch anders aus. Der Frage nach dem Warum möchte ich in diesem Beitrag auf den Grund gehen.
Abstrakt betrachtet dürfte das Infektionsrisiko in einer Großstadt deutlich größer sein als in ländlichen Regionen. Zum einen ist die Einwohnerdichte deutlich höher, zum anderen spielt der Öffentliche Nahverkehr in Großstädten eine deutlich wichtigere Rolle als auf dem Land. Beides führt zu deutlich mehr Kontakten als auf dem Land.
Konkret betrachtet hat aber Braunschweig zwei Vorteile gegenüber dem LK Eichsfeld. Bei den großen Standorten der Firmen VW, VW Financial Services und Siemens ist die Möglichkeit zum Homeoffice (sowohl in absoluten als auch prozentualen Zahlen) eine ganz andere als im LK Eichsfeld. Dazu kommen die TU Braunschweig und die HBK, die konsequent auf Online-Vorlesungen umgestellt haben. Auch dies ist im LK Eichsfeld so nicht möglich.
Beides – Homeoffice und Online-Vorlesungen – reduziert natürlich die Zahl der möglichen Kontakte.
Ob sich beides auf ein glattes Unentschieden ausgleicht, oder ob nach wissenschaftlicher Betrachtung (deutliche) Vorteile für eine der beiden Regionen bleiben, kann ich nicht beurteilen. Aber in meinen Augen fehlt es in beiden Regionen an deutlichen strukturellen Indikatoren, die für oder gegen eine der beiden Regionen sprechen.
Schauen wir auf die Maßnahmen: Bis Oktober galten in beiden Regionen vergleichbare Maßnahmen. Kontaktbeschränkungen, Aufforderung zum Homeoffice, Pflicht zum Tragen des MNS in öffentlichen Verkehrsmitteln und in Geschäften… Das „Übliche“ halt.
Mit dem Unterschied, dass in Braunschweig recht früh und recht konsequent begonnen wurde, die Einhaltung der Maßnahmen zu kontrollieren. So kündigten Ordnungsamt und Polizei Kontrollschwerpunkte an, z.B. Öffies und Haltestellen, und führten diese Kontrollen auch durch.
An ähnliche Ankündigungen und/oder Kontrollen im LK Eichsfeld kann ich mich nicht entsinnen.
Ende Oktober – noch vor der Ankündigung des Lockdown light — Braunschweig war unter der 50er Inzidenz, wurde eine Maskenpflicht ab den 1.11. in Teilen der Innenstadt angekündigt. Im LK Eichsfeld, damals bei der Inzidenz schon über 50, passierte nichts.
Neben dem Lockdown light wurde in Braunschweig dann ab Anfang November die Maskenpflicht umgesetzt und entsprechend kontrolliert.
Der LK Eichsfeld setzte den Lockdown light um und das war es dann erstmal.
Bis Weihnachten stiegen in Braunschweig die Inzidenzen, meist waren sie im Bereich 60 bis 80 mit einigen Ausreißern über die 100, wobei es auch Ausreißer unter die „magische“ 50 gab. In der Zeit wurde die Maskenpflicht in der Innenstadt leicht angepasst, Widersprüche (auf der einen Seite der Straße Maskenpflicht, auf der anderen Straßenseite keine Maskenpflicht) wurden beseitigt und es wurde weiterhin konsequent kontrolliert.
Im gleichen Zeitraum stiegen die Inzidenzen im LK Eichsfeld deutlich an. Der Bereich kleiner 100 wurde Ende November endgültige verlassen, Inzidenzen über 400 wurden erreicht. Ab Mitte Dezember lag man komplett über 200.
Und es passierte quasi nichts.
Der Landrat Dr. Werner Henning wurde tätig – womit ich mich dem Kern des Problems nähere.
Die hohen Infektionsraten begründete er unter anderem mit sehr umfangreichen Tests im LK Eichsfeld. Dass er damit eine gern genutzte „Argumentation“ der Querdenker übernahm, will ich an dieser Stelle nicht weiter ausführen. Aber dass die Ausrede tatsächlich falsch ist, lässt sich leicht belegen. Würde man durch viele Tests die Dunkelziffer der Infektionen reduzieren, würde das tatsächlich zu einer höheren Inzidenz führen. Aber es würde auch dazu führen, dass die Fallsterblichkeit (Anzahl der Verstorbenen geteilt durch die Anzahl der Infizierten) sinkt.
Ein Blick auf die Fallsterblichkeiten ergibt für Deutschland aktuell ein Wert von 2,67%.
Für den LK Eichsfeld liegt sie aktuell bei 3,82%, für die Stadt Braunschweig liegt sie aktuell bei 2,99%.
Wie man mit massiven Tests eine überdurchschnittliche Fallsterblichkeit erreicht, ist mathematisch einfach nicht zu erklären.
Eine weitere Begründung für das Infektionsgeschehen war seitens des Landrats auch gerne der Verweis auf Infektionsausbrüche in Alten- und Pflegeheimen. Diese Ausbrüche in den Heimen gab es, daran ist nichts wegzudiskutieren.
Nur wohnen im LK Eichsfeld statistisch gesehen um die 1.100 Menschen in solchen Einrichtungen. Wie man mit 1.100 Menschen, die nicht mal alle infiziert waren, Infektionszahlen von damals deutlich über 3000 begründen will, ist mir schleierhaft. Auf alle Fälle mathematisch unmöglich.
Und dann erlies der CDU-Landrat auch bis kurz vor oder kurz nach Weihnachten drei Verordnungen, um das Infektionsgeschehen in den Griff zu bekommen.
Mit der ersten schränkte er die Anzahl der Teilnehmer bei Versammlungen ein. Das (politische) Versammlungsgeschehen im Eichsfeld sieht wie folgt aus: Es ist de facto nicht existent. Die letzte „große“ Versammlung, an die ich mich erinnere, war eine Antifa-Demo mit mehreren hundert Teilnehmer*innen in Bornhagen im Mai 2016.
Er erließ also eine Verordnung, die keinerlei Einfluss auf das Infektionsgeschehen haben konnte.
Mitte Dezember gingen dann durch den bundesweiten Lockdown alle Geschäfte bis auf Lebensmittel und Co. zu. Kurz darauf erließ der Landrat eine Verordnung, dass in benannten Einkaufsstraßen im LK Eichsfeld Maskenpflicht herrscht.
Was eine Maskenpflicht in leeren Einkaufsstraßen bezwecken soll, ist mir total schleierhaft. Wobei die Einkaufsstraßen im LK Eichsfeld schon unter normalen Bedingungen kaum frequentiert sind.
Also die zweite Verordnung, die keinerlei Einfluss auf das Infektionsgeschehen haben konnte.
Ich glaube kurz nach Weihnachten kam die dritte Verordnung vom Landrat Henning.
Ab dem 1.1.2021 müssen sich Besucher*innen in Alten- und Pflegeheimen Schnelltests unterziehen.
Tendenziell eine gute Entscheidung, wenn da bloß nicht der Umstand wäre, dass ich meine Großmutter schon wochenlang nicht sehen durfte, da es Besuchsverbote in den Einrichtungen gab.
Hiermit bin ich bei der dritten Verordnung, die keinerlei Einfluss auf das Infektionsgeschehen haben konnte.
Nach Weihnachten kamen dann Ausgangsbeschränkungen (nicht weiter als 15 km vom Wohnort), die aber vom Land veranlasst wurden.
Bis Mitte Februar gab es aus beiden Regionen nichts Besonderes zu vermelden, da die Infektionen durch den bundesweiten Lockdown sanken, was sich bekannterweise Mitte Februar änderte.
Diese bundesweit steigenden und im Eichsfeld stagnierenden Zahlen hinderten den Landrat allerdings nicht daran, zum 22.2. die Öffnung der Schulen und KiTas zu verkünden. Der LK Eichsfeld hatte zu dem Zeitpunkt eine Inzidenz von über 150. Um genau zu sein, der Beschluss wurde an einem Tag gefasst, als die Inzidenz unter 150 lag, zum Tag der Öffnung lag der Wert darüber.
Die Folge war – wen wundert es – steigende Inzidenzen im Eichsfeld, die sich bald wieder der 200 annäherten.
Die logische Konsequenz des Landrats war? Genau, er stellte die Veröffentlichung der Zahlen des Gesundheitsamtes ein und verwies auf die Seiten des RKI. Fertig.
Begründet wurde dies mit unterschiedlichen Zahlen, bedingt durch Meldewege und ähnliches. Warum man dann die Primärquelle für die Öffentlichkeit schließt, ist mir ein Rätsel.
Kurzer Schwenk nach Braunschweig. Im Herbst 2020 war es, da veröffentlichten die Stadt Braunschweig und das Land Niedersachsen für Braunschweig unterschiedliche Inzidenzzahlen, obwohl die Infektionszahlen gleich waren. Nach einem Telefonat zwischen Stadt und Land wurde die Ursache gefunden. Das Land arbeitete mit Einwohnerzahlen, die vom statistischen Landesamt kamen, die Stadt nutzte relativ aktuelle Zahlen aus dem Melderegister. Lösung: Die Stadt nutzte ebenso die Zahlen vom statistischen Landesamt und alle Unklarheiten waren beseitigt.
Im März lockerte die Stadt Braunschweig die Maßnahmen, da die Stadt weiterhin unter einer Inzidenz von 100 lag. Im LK Eichsfeld passierte dahingehend quasi nichts, da die Inzidenzen zu hoch waren und weiter stiegen. Um den 20. März war man wieder über 200, wo dann eigentlich mal Zeit gewesen wäre, über schärfere Maßnahmen nachzudenken, aber der Landrat entschied sich trotz der hohen und weiterhin steigenden Zahlen dazu, die Schulen offen zu lassen. Diese Entscheidung wurde dann aber am 22. März wieder kassiert, und mit Verweis auf das Land Thüringen wurden die Schulen zum 24. März wieder geschlossen. Warum man dafür das Land braucht, ist mir schleierhaft.
In Braunschweig stiegen in der Zeit der Inzidenzen auf über 100, was die Stadt dazu brachte, nach drei Tagen mit einer Inzidenz über 100 sämtliche Lockerungen wieder zurück zu nehmen und auch die Schulen weitgehend zu schließen. Dass diese Verfügung am 26. März und damit unmittelbar vor Beginn der Osterferien erlassen wurde, mutet zwar etwas komisch an, aber es betraf mehr als nur die Schulen und das weitere Infektionsgeschehen ist im Voraus halt nicht absehbar.
Was bleibt also, wenn ich auf das letzte halbe Jahr zurückschaue?
In Braunschweig wurden frühzeitig Maßnahmen ergriffen, die weit über das hinausgingen, was die Beschlüsse der Konferenz der Ministerpräsident*innen hergaben und diese Maßnahmen wurden entsprechend kontrolliert. Niedrige Inzidenzzahlen wurden für mögliche Lockerungen genutzt, die aber bei Erreichen definierter Grenzwerte auch umgehend zurückgenommen wurden.
Im LK Eichsfeld hingegen schaute man dem Infektionsgeschehen tatenlos zu. Effektive Maßnahmen wurden keine ergriffen. Maßnahmenverschärfungen kamen nur, wenn es die Landesvorgaben unausweichlich machten. Dafür ergriff der Landrat die Möglichkeit, jede sich bietende Möglichkeit zu Lockerungen zu nutzen, obwohl absehbar war, dass diese das Infektionsgeschehen wieder anheizen und nicht von langer Dauer sein würden. Frei nach dem Prinzip: Der liebe Landrat lockert, das böse Land verschärft.
Dieses unterschiedliche Vorgehen lässt sich auch sehr gut in einer Zahl ausdrücken, nämlich in der Anzahl der Verstorbenen bezogen auf 100.000 Einwohner*innen.
In Braunschweig liegt dieser Wert bei 58.
Im Bundesschnitt liegt dieser Wert bei 93.
Im LK Eichsfeld liegt dieser Wert bei 193.
Ein Gedanke zu „Die Stadt Braunschweig und der Landkreis Eichsfeld – ein Vergleich zu Corona-Zeiten“
Das Durchschnittsalter im Eichsfeld ist fast 3 Jahre höher als in Braunschweig. Dies sollte in den Vergleich der Todeszahlen mit einbezogen werden.