Deutschland fucking Autofahrerland
Vorneweg ein paar grundlegende Sätze.
Ich habe seit 1997 meinen Führerschein, war aber nie im Besitz eines eigenes PKW. Zum einen war mir das eigene Auto immer zu kostenintensiv, zum anderen hatte ich, durch meine Umzüge bedingt, jedesmal die Chance, mir eine optimale Konstellation Arbeit — Wohnung — Läden des alltäglichen Bedarfs — Bahnhof zu wählen, so dass ich im Alltag auch nicht auf ein PKW angewiesen bin. Sollte ich trotzdem mal einen PKW benötigen, gibt es inzwischen mit Car-Sharing und den klassischen Autoverleihern ausreichend attraktive Möglichkeiten, an einen PKW zu gelangen.
Im Winter beschloss ich, einen meiner Urlaube im Sommer für die Alpenquerung Oberstdorf — Bozen (Teilstrecke des E5) zu nutzen. Da ich lang nicht mehr im Gebirge unterwegs war, wurde der Harz zum Trainingsgelände auserkoren. Der Harz bietet viel für Wanderer und auch Radfahrer, die Wege sind ausreichend gut beschildert und seit der Erfindung von google maps ist sowieso alles ein Kinderspiel. Aber sucht mal nach beschriebenen Wanderwegen: Als Ausgangspunkt wird immer irgendein Parkplatz angegeben. Sei es der am Radau-Wasserfall, beim Torfhaus, Brocken-Benno läuft gerne von einem Parkplatz bei Schierke los und es gibt noch diverse andere Parkplätze. Selten findet man allerdings Angaben wie “Bahnhof” oder “Bushaltestelle”. Somit entsteht ganz unbewusst der Eindruck “Wer im Harz wandern will, ist auf ein Auto angewiesen.”, was aber nur bedingt stimmt. Zumindest im Bereich zwischen Bad Harzburg und Braunlage verkehren Öffis und erschließen zum Teil die entsprechend genannten Parkplätze.
Weiterhin zeugen diese Beschreibungen davon, dass es die Autoren offensichtlich für ausgeschlossen erachten, dass Menschen ohne Auto existieren oder sofern sie existieren, bestimmt nie wandern werden.
Die Alpenquerung habe ich dann bleiben lassen, da zu der geplanten Zeit die Wege zum Teil nicht oder nur unter Lebensgefahr zu passieren waren. Als Alternative nahm ich mir vor, mal von Usedom an der Ostseeküste gen Westen zu laufen.
Ich fang mal mit den Campingplätzen an. Von “Für Fußgänger und Radfahrer vorbildlich” bis hin zu “Gerade so geduldet” habe ich alles erlebt.
Positiv hervorheben möchte ich hier Camping an der Dänischen Wiek in Greifswald. Dort gibt es Bierzeltgarnituren auf der Zeltwiese, so dass weder Fußgänger noch Radfahrer den Abend auf dem Fußboden verbringen müssen. In einer ehemaligen Telefonzelle liegt ein Mehrfachverteiler und es gibt ein Regal, so dass man unkompliziert sein Phone aufladen kann. Unweit des Platzes befindet sich ein Supermarkt mit den üblichen Öffnungszeiten und im Bereich des Hafens findet man diverse Restaurants, so dass alles, was der Platzbetreiber selbst nicht bietet, in fußläufiger Entfernung zu erreichen ist. Dass die Zeltwiese am Ufer war und die Camper somit die “schlechteren” Plätze haben, ist auch ein passendes Statement. 🙂
Während die Situation bei den anderen Plätzen mit Restaurants noch recht gut aussah, haben diese bei den Punkten Sitzgelegenheiten und Ladestationen kaum bis gar nichts zu bieten gehabt. Aber ja, wenn die Menschen mit Auto und Wohnwagen bzw. Wohnmobil ankommen, dann haben die kein Problem damit, Stühle mitzunehmen und das Phone wird über die Autobatterie oder den fast obligatorischen Stromanschluss geladen. Nur fällt das eben für Radfahrer und Fußgänger weg.
Hatte ich erwähnt, dass ich da quasi eine Teilstrecke des Europawanderwegs 9 gewandert bin, die in Teilen parallel zu dem Ostsee-Radweg verläuft? Ist ja nicht so, dass es da keine Wanderer oder Radfahrer gibt. 😀
Kommen wir zur Wegeführung an Beispiel Spandowerhagen bei Lubmin.
Die ursprüngliche Führung der Landstraße von Freest kommend führte in das Dorf, machte einen scharfen Haken nach links und verließ das Dorf dann wieder. Um den Verkehr flüssiger zu gestalten und die Bewohner zu entlasten, wurde dann irgendwann eine Ortsumgehung gebaut, die quasi als Hypotenuse mit der alten Straßenführung ein Dreieck bildet, und somit für die Autofahrer den Weg zur vorherigen Führung sogar verkürzt.
Und wie sieht nun die Wegeführung für Radfahrer und Fußgänger aus?
Von Freest aus kommend hat man parallel zur Landstraße einen Rad/Fußweg, der am Beginn der Ortsumfahrung endet. Man wird dann auf die bestehende Zufahrt zum Dorf geleitet und entsprechend über die alte Ausfahrt zurück zum dann wieder beginnenden Radweg.
Während sich also der Autofahrer über verkürzte Wege freut, dürfen sich Radfahrer und Fußgänger entscheiden, ob sie den sichereren und dafür längeren Weg durch das Dorf wählen, oder ob sie sich auf der Ortsumgehung verlustieren wollen.
Das gleiche konnte ich dann nochmal bei Kemnitz erleben, mit dem kleinen Unterschied, dass der Verkehr dort deutlich dichter war.
Die Öffis:
Trennen möchte ich hier erstmal zwischen An- und Abreise zu der Tour, da diese entsprechend geplant werden konnte und der spontanen Nutzung von Öffis vor Ort, wenn ich vom Laufen die Schnauze voll hatte.
Die Anreise von Braunschweig über Berlin und Züssow nach Swinemünde verlief ebenso reibungslos wie meine Abreise von Wismar über Berlin und Erfurt nach Leinefelde. Da keine große Vorlaufzeit für die Tour vorhanden war, gab es halt den Flexpreis mit Bahncard 50. 56 €uro für die Hinfahrt, 62 €uro für die Rückfahrt.
Vor Ort war ich positiv von den Öffis überrascht. Gut, die UBB auf Usedom mit nem 30 Minuten Takt ist ne Bank, da gibt es nichts zu diskutieren. Der Anschluss der Fähre Peenemünde — Freest hat gut gepasst, so dass ich auf dem Fußweg nicht hetzen musste. Die genutzten Busverbindungen haben gut in die Tagesplanung gepasst, preislich waren sie absolut okay und es gab gute Umsteigemöglichkeiten zu anderen Verkehrsmitteln.
Resümee: Es gibt sehr viele schöne Ecken in diesem Land, die man mit eigener Muskelkraft erwandern bzw. erfahren kann. Aber umso öfter man unterwegs ist, umso öfter man mit den Menschen spricht, die man auf den Ausflügen trifft, desto deutlicher wird, wie autofixiert man hier ist und wie unattraktiv es am Ende ist..
Die mangelnde Attraktivität ist nicht in großen Problemen begründet, sondern in der Summe vieler Kleinigkeiten. Diese ließen sich sogar ohne große Aufwände ändern.
Voraussetzung dafür ist aber, dass Verantwortliche mal das Auto stehen lassen, die Schuhe schnüren oder die Fahrradkette schmieren, und mal für zwei drei Tage die Perspektive wechseln.
Während hochalpine Wandertouren zigfach beschrieben sind und sich da die Anbieter und diverse Eigentümer von Gasthöfen dumm und dusselig verdienen, ist der E 9 an der deutschen Ostseeküste nichtmal ausgeschildert. Wobei es am vermeintlich unattraktiven Flachland nicht liegen kann, wie die Shelter in Dänemark zeigen. Eine zusätzliche und sehr günstige Infrastruktur, gebaut für Radfahrer und Wanderer.